Die Kanadier David Matas und David Kilgour sehen
nicht aus wie zwei Männer, die einem Staat, noch dazu einem so mächtigen wie
China, gefährlich werden könnten. Der hoch gewachsene, schlanke Kilgour (64)
lacht viel, seine stahlblauen Augen blitzen schelmisch. Matas (66), zierliche
Statur, spricht dagegen stets ruhig und leise. Ernst blickt er durch seine
goldumrandete Brille. Ein ungleiches Paar, möchte man meinen. Nur eine
professionelle, aber niemals unverbindliche Höflichkeit scheint beiden zueigen –
und ihre Herkunft aus der Stadt Winnipeg. Dort kreuzten sich die Lebenswege des
früheren Staatssekretärs im kanadischen Außenamt Kilgour und des renommierten
Menschenrechtsanwalts Matas bereits mehrmals.
Doch seit dem 24. Mai 2006 verbindet die beiden
noch viel mehr. In ihren Briefkästen lag eine Anfrage zur Untersuchung einer
ungeheuerlichen Anschuldigung. China wurde vorgeworfen, massenhaft Organe von
inhaftierten Anhängern der Religionsbewegung Falun Gong zu entnehmen und teuer
zu verkaufen, vor allem ins Ausland. Die „Koalition zur Untersuchung der
Verfolgung von Falun Gong in China“, eine in Washington registrierte
Nicht-Regierungsorganisation, bat Kilgour und Matas, diese Gerüchte zu
überprüfen. Die beiden fanden schließlich so viele Indizien, dass sich die
schweren Vorwürfe kaum entkräften lassen. Sorgfältig und detailliert legten sie
die Ergebnisse ihrer Recherchen in einem ersten Bericht vom Juli 2006 und einem
zweiten vom Januar 2007 nieder.
Das Reiche der Mitte hat bereits reagiert
Seitdem hat sich das Leben der beiden Männer
geändert. Unermüdlich reisen sie von Land zu Land, um ihre Erkenntnisse
weiterzugeben. Sie sprechen vor Parlamenten, vor Regierungsmitgliedern, vor den
Vereinten Nationen. Jetzt sind sie in Deutschland.
Auch in China änderte sich einiges seit den
Recherchen von Matas und Kilgour. Zwar wehrt die chinesische Regierung alle
Vorwürfe ab, dass Falun-Gong-Gefangene als eine Art lebende Organbank dienen.
Kilgour und Matas wollten nur „Chinas Image beschmutzen“, heißt es. 2008 ist
Peking schließlich Gastgeber der Olympischen Spiele, da ist die Regierung
besonders um ihre Außendarstellung besorgt. Unter dem Druck zunehmender
internationaler Kritik trat am 1. Juli 2006 sogar erstmals ein Gesetz in Kraft,
das den Organhandel generell verbietet. Potenzielle Spender müssen nun
schriftlich Erlaubnis zur Entnahme ihrer Nieren, Bauchspeicheldrüsen oder
Augenhornhäute erteilen.
Belgischer Politiker gibt vor, eine Niere
kaufen zu wollen
Kilgour und Matas sind davon überzeugt, dass
dieses Gesetz die Praxis des Organhandels nicht grundsätzlich unterbunden hat.
„In China existiert ein riesiger Unterschied zwischen der Einführung eines
Gesetzes und dessen Umsetzung“, sagt Kilgour, der das Land als Staatssekretär
mehrmals besucht hat. „Der lukrative Verkauf menschlicher Körperteile aber geht
ungebremst weiter.“ Der belgische Abgeordnete Patrik Vankrukelsven meldete sich
Ende November 2006 bei zwei Krankenhäusern in Peking. Er gab vor, Kunde für ein
Nierentransplantat zu sein. Beide Einrichtungen boten ihm sofort ein Organ für
umgerechnet 50.000 Euro an.
Nicht zuletzt Chinas Vize-Gesundheitsminister
Huang Jiefu gab im November 2006 zu, dass die meisten in China transplantierten
Organe von hingerichteten „Verbrechern“ stammten. „Diese Geschäfte unter der
Hand müssen verboten werden“, sagte Huang vor Ärzten in der südchinesischen
Metropole Guangzhou. Dabei waren „diese Geschäfte“ ja eigentlich seit Juli
bereits verboten.
„Knallharte Beweise haben wir nicht“, räumt
Kilgour ein, der vor seiner Politiker-Karriere als Staatsanwalt arbeitete. Matas
springt ihm zur Hilfe bei, indem er den Unterschied zwischen Indizien und
Beweisen erklärt. „Unsere Berichte basieren auf ersteren“, sagt er. „Das liegt
an der Natur der Sache.“ Die Organentnahme findet im Geheimen statt. Nach der
„Ernte“ werden die Leichen verbrannt. Kilgour und Matas baten auch um die
Einreisegenehmigung nach China, damit sie den Anschuldigungen nachgehen könnten.
Doch sie bekamen keine Visa.
Falun Gong gilt als "bösartige Sekte"
Die Vielzahl der Faktoren und ihre Kombination
untereinander ergeben ein Gesamtbild, das die Anschuldigungen nur als wahr
erscheinen lassen kann, schlussfolgern sie. Anhänger der Bewegung Falun Gong,
die in China 1999 als „bösartige Sekte“ verboten wurde, werden „im Verlauf einer
Operation oder unmittelbar danach getötet“. Im Klartext: Mord in Form von
Organentnahme. „Oft genug sind wir selbst ungläubig und entsetzt vor den
Ergebnissen unserer Untersuchungen zurückgewichen“, sagt Kilgour. Matas, der
viele Holocaust-Opfer vertreten hat, erinnert an den Mord an Millionen Juden.
„Seitdem ist es unmöglich, Grausamkeiten auszuschließen.“
In China selbst scheint das Bewusstsein für
diese Grausamkeiten nur erstaunlich wenig ausgeprägt. Bis Juli warben
chinesische Krankenhäuser offen auf ihren Internetseiten mit „geringen
Wartezeiten“ bei Organtransplantationen. „Es dauert vielleicht eine Woche, bis
wir einen passenden Nieren-Spender finden“, hieß es auf der Webseite des
Internationalen Chinesischen Transplantations-Betreuungszentrums. „Die höchste
Wartezeit beträgt einen Monat.“
Dagegen warten in westlichen Ländern Empfänger
in der Regel mehrere Jahre. Das Betreuungszentrum gab auch Preislisten für
Organe an: eine Niere für 62.000 Dollar, eine Leber für 100.0000 Dollar, ein
Herz kostet etwa 150.000 Dollar. Nach Juli 2006 wurden jedoch alle diese
Anzeigen im Internet gelöscht. Unverhohlen gaben allerdings viele Ärzte
telefonisch Auskunft. „Wir wählen vor allem junge und gesunde Nieren aus“, sagte
ein Dr. Zhu vom Krankenhaus der Militär-Region Guangzhou im April 2006. Mehrere
Nieren von Falun-Gong-Anhängern seien „auf Sendung“.
Zwar seien grundsätzlich alle Hingerichteten
potenzielle Opfer von Organentnahmen gegen ihren Willen, sagen Matas und
Kilgour. Aber Falun-Gong-Anhänger bilden eine Gruppe von Gefangenen, die von
chinesische Behörden besonders entwürdigend behandelt und beschimpft werden. Die
Partei sieht in der Religionsbewegung, die eine Mischung aus Meditation,
Atemübungen und Buddhismus praktiziert, eine Gefahr für ihr Herrschaftsmonopol.
UN-Berichterstatter spricht von Folter
„In einem Klima des Hasses“ werden
Falun-Gong-Gefangene besonders häufig Opfer von Gewalt“, sagt Matas. Auch der
UN-Sonderberichterstatter Manfred Nowak hatte dies in seinem Folter-Bericht vom
vergangenen Jahr bestätigt. Zudem stellten Falun-Gong-Anhänger „ideale Spender“
dar, schreiben Kilgour und Matas in ihrem Report. Sie seien eher jung, würden
weder rauchen noch trinken.
Hauptbelastungszeugin ist „Annie“, die frühere
Frau eines Chirurgen, der in dem Krankenhaus Sujiatun in der nordwestlichen
Provinz Liaoning Augenhornhäute von rund 2000 Falun-Gong-Anhängern entnommen
haben will. Kilgour, der „Annie“ interviewte, hält ihre Aussagen aufgrund ihrer
Detailgenauigkeit für glaubwürdig. „Sie steht Falun Gong in keiner Weise nahe“,
betont er. Der bekannte US-Menschenrechtler Harry Wu, der gewiss nicht in dem
Verdacht steht, die chinesische Regierung decken zu wollen, zweifelte später die
Wahrheit von „Annies“ Aussagen an – und provozierte damit einen öffentlichen
Streit um die Glaubwürdigkeit des Organ-Berichts. Es gebe keine Hinweise darauf,
dass Sujiatun eine Art „Konzentrationslager“ für Falun-Gong-Anhänger sei, sagte
er. Doch Kilgour und Matas bleiben bei ihrer Darstellung. „Harry Wus Recherchen
waren nicht sorgfältig“, sagen sie.
Für sie ist besonders frappierend, dass seit
1999, dem Jahr als Falun Gong in China verboten wurde, die Anzahl der
Transplantationen sprunghaft zunahm. Während zwischen 1994 und 1999 nach
offiziellen Angaben 18.500 Organe ver-pflanzt wurden, waren es zwischen 2000 und
2005 bereits 60.000. Mit dem Geld durch die Einnahmen verschafften sich die
finanziell notorisch klammen Krankenhäuser und Ärzte enorme Zusatzeinnahmen,
vermuten Kilgour und Matas. Nicht zuletzt das Militär profitiere sehr davon,
denn es betreibt viele Krankenhäuser.
Dem Bericht zufolge werden sogar mehrere
Gefangene getötet, um für gut zahlende Kunden ein passendes Organ zu finden. So
traf Kilgour einen Mann, dem 2003 im Ersten Volkskrankenhaus in Shanghai
insgesamt acht Nieren angeboten wurden. Stets passten seine Blutwerte und
Antikörper nicht mit denen der Spender zusammen. Bei der letzten, dann auch
transplantierten Niere sagte der operierende Chirurg, diese stamme von einem
hingerichteten Gefangenen. „Die Verschwendung an Organen in China ist enorm“,
sagt Kilgour. „Die Ärzte können sich einen Mangel an Sorgfalt leisten.“ Bei
offiziell mehr als 1600 Hingerichteten im Jahr gebe es schließlich immer
Nachschub.